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Training.

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6:30. Der Wecker klingelt. Es ist Sonntag, die Wohnung liegt still da, die Familie schläft noch. Du schleichst dich leise aus dem Schlafzimmer.

Du gehst ins Bad und weckst dich selbst mit ein paar Händen voll kaltem Wasser im Gesicht. Dann füllst du die Trinkflasche und ziehst die Sachen an, die du schon gestern abend bereitgelegt hast. Ein Blick aus dem Fenster, wo der Tag gerade versucht, sich gegen die schwindende Nacht durchzusetzen, bestätigt, was die Wettervorhersage bereits gestern ankündigte: Mistwetter. Grau, feucht, windig. Immerhin trocken von oben, aber selbst wenn regnen würde, würde das nichts ändern.

leere Straßen

Du ziehst die Schnallen der Schuhe fest. Die Wohnung ist immer noch still, gottseidank. Du greifst deinen Helm und schleichst dich raus.

Draußen empfängt dich ein milder, aber starker Wind. Der Himmel spiegelt sich in den Pfützen, die vom nächtlichen Regen übrig sind. Bei diesem Wind sind die Straßen in zwei, drei Stunden sicherlich trocken, aber das nützt dir jetzt wenig. Du steigst auf dein Rad, klickst ein, startest dein Garmin und fährst los.

ein Rennrad allein auf weiter Flur

Erst einmal musst du der Stadt entfliehen. Das ist zum Sonntagmorgen nicht besonders schwierig, denn außer dir sind nur jene auf den Beinen, die wahrscheinlich zur Arbeit fahren müssen oder von jener kommen und nun auf dem Weg zur Arbeit sind. Zu spät für Clubgänger, zu früh für alle anderen.

Keine anderen Rennräder unterwegs, keine Läufer auf den Beinen, fast keine Autos. Die Straßen gehören dir. Du wartest an den Ampeln oder eben auch nicht, denn es ist niemand da, den du behindern oder gefährden könntest. Schnell bist du an der letzten Ampel vorbei und raus aus der Stadt.

Wind von vorn

Du hast aufgepasst. Da du wusstest, dass ein starker Wind gehen würde, hast du die Strecke so gewählt, dass du im ersten Teil dagegen ankämpfen musst, so lange die Beine noch frisch sind. Der Nachhauseweg soll dann entspannt werden, mit dem Wind, der jetzt gerade dein Feind ist, als Unterstützung im Rücken.

Das Garmin piepst, du beginnst dein Trainingsprogramm. Du hast mit der Familie vereinbart, zum Frühstück zurück zu sein. Du hast nicht den ganzen Tag Zeit, sondern nur dieses kurze Zeitfenster, dass du bestmöglich nutzen willst.

Es kommt, wie es kommen muss: Die Strecke ist nicht ideal gewählt. Egal, was auf dem Trainingsplan steht. Steht Krafttraining auf dem Plan und du willst im größtmöglichen Gang langsam und kräftig kurbeln, knickt die Straße nach wenigen Minuten nach unten ab und dir gehen die Gänge aus. Steht dagegen Kadenztraining an, liegt eine Steigung vor deinem Rad und dir gehen die Gänge aus. Irgendetwas ist immer. Aber auch das ist Training, Mentaltraining. Formt den Charakter, sagt man.

pedalieren

So pedalierst du durch die frühe Landschaft. Ziehst durch. Versuchst, dich zu konzentrieren, die Intervalle so zu fahren, wie du sie vorher geplant hast. Dazwischen, in den Erholungsphasen, ist Zeit, die Straße zu genießen. Und die gehört dir, um diese Uhrzeit. Keine anderen Rennradler unterwegs, mit denen du den Asphalt teilen musst. Die dich überholen und dich von der Seite mustern als wollten sie sagen „Na? Schneller kannst du nicht? Mehr ist nicht drin?“, obwohl sie überhaupt keine Ahnung haben können, dass du absichtlich so fährst, wie du fährst. Auch keine Radfahrer, die dich animieren, deine Vorgaben über Bord zu werfen, das Piepsen deines Trainingscomputers zu ignorieren, nur damit du sie überholen und mit genau demselben Blick mustern kannst. Obwohl du keine Ahnung von deren Motivation hast. Mit all dem musst du dich nicht belasten. Du bist allein. Ein glücklicher Umstand.

Warum tust du dir das an? Warum quälst du dich aus dem Bett, anstatt dich zum Sonntagmorgen noch einmal in die Kissen zu kuscheln? Genau deswegen. Du stehst früh auf, vor allen anderen, weil du dann allein bist. Weil die Straßen dir gehören. Egal, ob du trainierst, um Rennen zu bestreiten oder einfach so. Weil du dich verbessern willst. Wir alle verfolgen irgendwelche Ziele auf dem Rad, und sei es nur, im Sommer bei schönstem Wetter durch die Gegend zu gondeln, sich und das Rad treiben zu lassen. Es ist schöner, schneller durch die Gegend gondeln zu können als andere dies vermögen. Dazu ist ein Rennrad schließlich da.

über Land

Irgendwann piepst der Computer zum vorletzten Mal. Training beendet. Ausrollen. Du lenkst dein Rad in Richtung Heimstatt. Dort wartet eine heiße Dusche und mit ein bisschen Glück ein gedeckter Frühstückstisch. Wenn nicht, auch gut. Dann hast du Zeit, dich noch einen Moment hinzusetzen und deine Ausfahrt noch einmal Revue passieren zu lassen. Dem Gefühl in deinen Beinen und in deinem Herzen nachzuspüren, welches sich nach einer anstrengenden Ausfahrt unweigerlich einstellt. Denn letzten Endes tust du das dieses Gefühls wegen. Denn du bist ein Rennradfahrer. Zum Glück.

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